Theatre-For-Change

Nov 26, 2016 / by joern / In Allgemein / Leave a comment

Impulsvortrag Fachtag Theatervermittlung

Wie soll der Arbeitsmarkt für Theatervermittler_innen in der freien Szene aussehen?
Ein utopischer Versuch. Ein Plädoyer für eine gleichberechtigte Vermittlungskunst

Als Akteur in der freien Szene bekomme ich viele Professionstitel von außen zugeschrieben. Je nach Situation und vor allem je nach Gesprächspartner bin ich mal Theaterpädagoge, mal Regisseur, mal Performer, Theatermacher, Dozent, und hier und heute deklariert mich der Programmtext als Theatervermittler. Aber was genau ist eigentlich die Tätigkeit und der Auftrag einer Theatervermittlerin / eines Theatervermittlers? Wer ist am Vermittlungsprozess beteiligt? Wer entscheidet was Vermittlung ist? Und wer macht eigentlich Vermittlung?

Als verhältnismäßig neue Disziplin des Theaterkosmos, im Vergleich zu Disziplinen wie Regie, Schauspiel, Dramaturgie, etc., verfügt die Vermittlungsarbeit noch über keine lange Tradition, oder einen starken Interessenverband auf den sie sich berufen kann. Die Theatervermittlung gerät in die Gefahr einer Definitionsmacht zu obliegen, die in den Bereichen angesiedelt ist, zwischen denen sie vermitteln soll. Von Seiten des Theaters wird die Arbeit häufig als Zuschauerakquise verstanden, von Seiten des Publikums als Bonusleistung zur gekauften Karte. Als nicht-verortete Disziplin, zwischen Theaterkunst und Zuschaukunst, wird diesem Verständnis nach der Theatervermittlung kein nennenswerter Mehrwert zugeschrieben. Theatervermittlung erweitert den Wirkungsradius des Theaters nicht, es werden nur Bereiche tangiert, die ohnehin zum Theaterkosmos gehören.

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Diese enge Auffassung von Theatervermittlung ist meines Erachtens bereits weitestgehend obsolet. Der Aufgabenbereich hat sich erweitert und es hat sich eine Auffassung als Brückendisziplin durchgesetzt. Mit separiertem Fachbereich steht die Vermittlungsarbeit, ergänzend zum Kunstbetrieb als Mediator zwischen Künstler_innen und Zuschauenden. Dies führt jedoch zu einigen Grabenkämpfen, da sich sowohl die Kunst, als auch die Pädagogik in ihren definierten Aufgabenbereichen gefährdet sehen. Von beiden Richtungen gibt es Diffamierungstendenzen zu beobachten, die der Vermittlungsarbeit weder eindeutige Kompetenzen im Kunstbereich noch im Pädagogikbereich zusprechen. Nicht zu unrecht, denn als Brückendisziplin gerät die Theatervermittlung in die Gefahr als aufklärend oder erklärend interpretiert zu werden. In der radikalsten Auslegung wird dem Publikum ohne theatrale Alphabetisierung eine Erlebensfähigkeit von Theaterkunst abgesprochen.

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Aus diesem Grund möchte ich mich für eine Auffassung der Theatervermittlung als eigenständige Kunstdiziplin stark machen. Etwaige Spannung zwischen Kunst und Rezipient sollen nicht abgebaut, sondern verstärkt werden. Es soll nicht darum gehen, dem Publikum die Kunst zu erklären, sondern eine Offenheit für ungewohnte Wahrnehmung geschaffen werden. Ambiguitätstoleranz und Fremdheitserfahrung sind hier die Stichworte. Dabei soll es nicht darum gehen, durch eine Nachahmung den künstlerischen Prozess der Theaterkunst zu vermitteln, sondern die Ressourcen des Theaters zu nutzen, und eigenständige Methoden und Formate zu entwickeln. Vermittlungskunst ergänzt das Spektrum des Theaters und ermächtigt Themen und Zielgruppen am Kunstdiskurs teilzuhaben, die im Regulärbetrieb außerhalb des Wirkradius liegen.

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Ich sehe noch einige Barrieren die genommen und einige Leerräume, die mit Leben gefüllt werden müssen, um die Theatervermittlung zu einer gleichberechtigten Disziplin im Theaterbetrieb werden zu lassen. Dazu zählen folgende Punkte:

Theatervermittlung ist keine Dienstleistung. Sondern etabliert sich als eigenständige Disziplin, die sich aus einem breiten Repertoire künstlerischer, didaktischer und pädagogischer Methoden bedienen kann. Theatervermittlung steht nicht im Dienst der Theaterverwaltung, der Künstler_innen oder des Publikums, sondern kollaboriert mit diesen. Theatervermittlung etabliert eigenständige Formate, um das Theater als einen Ort der Öffentlichkeit und des Diskurses zu verwirklichen.

Theatervermittlung ist kein Allheilmittel. Es können nicht alle Probleme des Theaterbetriebs (wie zum Beispiel abnehmende Zuschauerzahlen, gesellschaftspolitischer Rechtfertigungsdruck, Überwindung der Diskrepanz zwischen theatralen Zeichen und Decodierung seitens des Rezipienten, etc.) auf den Bereich der Theatervermittlung übertragen werden. Wohl aber kann die Theatervermittlung dazu beitragen sich dieser Konflikte bewusst zu werden und einen offenen Aushandlungsprozess zu initiieren.

Theatervermittlung ist kein Sündenbock. Spannungen zwischen Publikum und Kunstschaffenden oder zwischen Spielstätte und Kulturpolitik sind nicht auf eine Fehlleistung der Vermittlungsarbeit zurückzuführen. Ganz im Gegenteil sollte die Theatervermittlung dazu beitragen einen lebendigen Diskurs zu fördern und Spannungen offenzulegen. Theatervermittlung ist keine Krisenintervention, sondern nutzt das Transformationspotenzial auftretender Spannung für die Offenlegung von Reflexion- und Adaptionsbedarf. Theatervermittlung ist garant eines lebendigen und damit überlebensfähigen Theaterapparates.

Theatervermittlung braucht eine Einbindung in den Kunstbetrieb. Es ist nicht damit getan der Evolution von Theatervermittlung wohlwollend zu zuschauen. Es muss darum gehen aktiv an einer gleichberechtigten Einbindung in den Kunstbetrieb zu arbeiten. Dies bedeutet die Überwindung hierarchischer Ordnungen, Zugang zu zeitlichen, finanziellen und räumlichen Ressourcen, sowie Mediation bei Interessenkonflikten beteiligter Akteure.

Theatervermittlung braucht Vertrauen und Offenheit. Als Disziplin in den Kinderschuhen bedarf es eines großen Vertrauensvorschusses in die Kompetenzen und auftretenden Professionalisierungstendenzen. Theatervermittlung überwindet institutionalisierte Grenzen und wagt sich auf Neuland. Rückschläge und Fehler sind vorprogrammiert. Es Bedarf einer wohlwollenden Einstellung zum Scheitern, als Garant für Erkenntnisgewinn und Entwicklungsbeschleunigung.

Theatervermittlung braucht Förderung. Um sich weitergehend zu professionalisieren braucht es neben einer qualifizierten Ausbildung und Forschung, auch Ausschreibungen und Projektförderungen, sowie Vernetzungstreffen und einem wissensakkumulierenden Dachverband. Es muss darum gehen Erkenntnisse zusammenzutragen, Fähigkeiten zu bündeln, Entwicklungspotential offenzulegen und letztlich Pioniere und Akteure zu unterstützen.

Theatervermittlung braucht Vermittlung. Spielstätten und Künstler_innen haben Hoffnungen und Ängste in Bezug auf Theatervermittlung. Es besteht Aufklärungsbedarf über die Möglichkeiten und Grenzen von Vermittlungsarbeit. Nur eine Offenlegung und eine gleichberechtigte Aushandlung der Interessen von Künstler_innen, Vermittlungskunst, Spielstätte und Publikum kann zu einem nachhaltigen Mehrwert von Theatervermittlung für alle Beteiligten führen.

Abschließend möchte ich zusammenfassen:

Die Theatervermittlung ist dabei sich aus dem Schattendaseins zu befreien. Sie wird nicht mehr als Beiwerk sondern zunehmend als eigenständige Disziplin mit Mehrwert für alle am Theaterprozess Beteiligten gesehen. Dabei sollte das Rad nicht stets neu erfunden werden, sondern best practice akkumuliert und geteilt werden. Es ist noch einiges zu tun, um Vermittlungskunst als gleichberechtigte Disziplin in den Theaterbetrieb zu implementieren. Dies Bedarf neben einer wohlwollenden Öffnung der Produktionsstätten auch einer kritischen Selbstreflexion und Weiterbildung der Akteure. Sofern dies gewollt ist, ergeben sich aus dem Schnittbereich von Theaterkunst, Zuschaukunst und Vermittlungskunst Potenziale, die dem Theater ein Stück mehr Utopie, Demokratie, Emanzipation und Toleranz geben können.

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